Gewöhnung an die Hundeprothese
Nach mittlerweile knapp zwei Jahren ist es für Rafael und mich völlig normal geworden, Mateo täglich seine Vorderbein-Prothese anzuziehen. Normal ist für uns auch geworden, dass Mateo uns ohne Ausnahme auf die Tagesspaziergänge begleitet. Völlig egal dabei ist, wie viele Kilometer die Runde zählt. Ob 4 Kilometer oder 10 Kilometer – Mateo kommt problemlos mit. Und das als Dreibeiner! Mit diesem Blogbeitrag möchte ich mich nochmals daran erinnern, wie viel Schweiß, Tränen und Zeit ich in das Training zur Eingewöhnung an die Prothese mit Mateo investiert habe. Auch möchte ich diese wertvolle Erfahrung mit Menschen teilen, die etwas Hoffnung auf ihrem vielleicht genauso holprigen Weg brauchen.
Prothese von Anfang an
Mateos erste Prothese bekam er bereits mit 6 Monaten. Seit seinem sechsten Lebensmonat üben wir also schon das Laufen in der Prothese – Was natürlich vorteilhaft ist. Ein älterer Hund, für den das Humpeln durch die Welt zum Alltag geworden ist, braucht gewiss Länger an die Gewöhnung einer Prothese als ein Welpe oder Junghund.
Aber Alles hat seine Vor- und Nachteile.
Während ein Junghund mit Prothese schnell Muskeln im Stumpf-Bein aufbauen und sich an das Tragen einer Prothese gewöhnen kann, muss die Prothese regelmäßig angepasst werden. Denn Junghunde wachsen schnell und regelmäßig. Druckstellen beim Tragen der Prothese bleiben also nicht aus und aus Erfahrung kann ich sagen: Das wirft Euer Training regelmäßig zurück. Immer wenn Mateo erneut Druckstellen an seinem Stumpf aufwies, sendeten wir die Prothese per Post an unseren Orthopädiemechaniker zurück. Die Anpassung dauerte mit Hin- und Rückversand oft länger als eine Woche. In dieser Zeit hoppelte Mateo natürlich ohne Prothese herum und gewöhnte sich dadurch wieder an das Humpeln als Hauptfortbewegungsmöglichkeit.
Wenn die Prothese ihren Weg zu uns zurück gefunden hat, ging es die ersten Tage im Training wieder darum, Mateos Gehirn zu signalisieren, dass er nicht humpeln muss, sondern seinen Bewegungsapparat normal gebrauchen kann. Im Prinzip teile ich Mateos Gehirn mit: „Huhu, Du – Die Prothese ist wieder da. Du musst nicht mehr Humpeln.“ Bis zu Mateos erstem Lebensjahr (also bis er physisch ausgewachsen war) hatten wir mit diesem Problem zu kämpfen. Das erste halbe Jahr haben wir nicht wirklich das Laufen mit Prothese trainiert, sondern die regelmäßige Umstellung von „ohne Prothese fortbewegen“ zu „Prothese ist angezogen, normal laufen“ antrainiert.
Hierfür bin ich immer wieder stehen geblieben, wenn Mateo seine Prothese trug, sie aber beim Laufen nicht nutzte. Ich habe sein normales Vorderbein angehoben, damit sein Gehirn verarbeiten konnte, dass sein Stumpf-Bein in der Prothese sitzt und er dieses beim Laufen einsetzen kann. Beim Humpeln (also fortbewegen ohne Prothese) winkeln dreibeinige Hunde den verbliebenen Stumpf an, damit er im Lauf nicht hinderlich ist. Das machen Dreibeiner logischerweise auch, wenn sie zum ersten Mal eine Prothese tragen: Anders als Menschen wissen Hunde nicht, wofür eine Prothese da ist. Die Aufgabe des Menschen ist, einem Hund genau das nahezubringen: Wann kann ich mein Stumpf-Bein einsetzen und wann nicht? Mit Mateo war das ein langatmiger Prozess durch das regelmäßige Fehlen der Prothese (weil diese durch Mateos Wachstum oft angepasst werden musste) – aber im Endeffekt nicht weiter dramatisch, denn es ist kein Geheimnis, dass Welpen und Junghunde mehr Ruhe als Auslauf brauchen – Mateo hat uns die erste Zeit ohnehin kaum auf eine komplette Tagesrunde begleitet. Und wenn, habe ich ihn – wie einen normalen Junghund auch – oft getragen. Alles für den Dackel, alles für den Club. 😉

Einfach nur Loslaufen
Bei einem bereits ausgewachsenem Hund mit fehlendem Bein hast Du das Problem mit der regelmäßigen Anpassung der Prothese nicht, aber! auch hier bleibt die Anpassungs-Thematik nicht aus. Mit der Vollendung des ersten Lebensjahres bekam Mateo seine finale Prothese, die an sein ausgewachsenes und nun gut bemuskeltes Stumpf-Bein angepasst ist. Nach einer kurzen Testphase mit der neuen Prothese ging es für Mateo und mich zum Anpassen der finalen Prothese zu unserem Orthopädiemechaniker, der das Robo-Bein in Länge und Ausrichtung (sprich Winkel) nochmals auf Mateos Gangart abstimmte. Nach einigen Monaten kann ich sagen, dass immer noch alles passt.
Jedoch wird sein Stumpf-Bein mit der Zeit kräftiger und der Stumpf sich durch die regelmäßige Bewegung und damit einhergehende Belastung weiter verändern – Man kann bei Prothesentragenden Hunden von einer lebenslangen Anpassung sprechen. Diese ist aber bei weitem nicht so umfangreich und regelmäßig, wie bei einem Welpen oder Junghund.
Bei einem ausgewachsenen Hund liegt der Fokus beim Training an die Gewöhnung an eine Prothese also mehr bei der Ausdauer des Hundes, sprich bei der Prothesentrage-Dauer. So auch bei Mateo.
Nachdem die Problematik mit der Anpassung der Prothese in Mateos Wachstum nun aus der Welt war, ging es für uns ans Eingemachte. Der Hund ist ausgewachsen, die Prothese passt perfekt. Das richtige Training konnte losgehen!
Mateo hat sein erstes Lebensjahr viel an Geschirr und Leine verbracht, weil seine Vorgänger-Prothese nicht zu 100% passte und ich vermeiden wollte, dass er sich übernimmt. Meine Priorität bestand in einem gesunden Wachstum meines Hundes und einem sauberen Gangbild mit Prothese. Im Freilauf hätte ich das selten kontrollieren können.
Ich habe damit begonnen, unsere täglichen Gassirunden – die Mateo als Junghund bereits kannte und die nie länger als eine Stunde gingen – mit Freilauf zu kombinieren. So konnte Mateo sich auf gewohnter Strecke ausprobieren: Er tobte und raufte mit Rana im Wald, ohne dass die Strecke größer wurde. Anfangs fing er nach ausgiebigen „Fang mich doch!“-Runden mit seinen Geschwistern das Humpeln an: Ein Zeichen dafür, dass der Hund sich übernommen hat. Ich vergleiche das immer gern mit Jogging-Anfänger, die sich gleich am ersten Tag überschätzen und versuchen, 10 Kilometer zu laufen. Mateo war viel zu happy über seinen Freilauf und den neuen Spielmöglichkeiten, dass er gleich immer aufs Ganze ging. „Alles oder Nichts“ ist ganz sein Motto. Er kam dann kurzerhand für den Rest der Strecke auf meinen Arm oder an die Leine ins Fuß.
Als er die Runden nach einigen Wochen in einem runden Gang (sprich ohne Hüpfer zwischendurch) trotz Spielen, Springen und Toben problemlos mitlief, weitete ich die Gassirunden an Strecke immer um einige Meter aus. Mit dem regelmäßigen Training wuchs Mateos Bewegungsdrang und er ließ Alle nur zu gern davon wissen: Vor jeder Gassirunde wurde gequängelt, gefiepst und gejault und auch während den Gassirunden ließ Mateo keine Zweifel an seinem wachsendem Bewegungsdrang offen: Er sprang über Äste und Steine, flitzte über Wiesen und Felder, raufte und spielte mit Artgenossen. Ich wollte ihn dahingehend nicht einschränken: Für mich gab (und gibt) es nichts Schöneres auf der Welt, als Mateo lebensfroh durch den Wald flitzen zu sehen. Deshalb hatte ich beschlossen, ihn nach einer größeren Gassirunde von 1,5-2 Stunden ein oder zwei Tage zuhause zu lassen. Unterm Strich begleitete Mateo uns zu Beginn des Trainings 2-3 mal wöchentlich auf die täglichen Gassirunden bzw. Wanderungen. Natürlich hatte es jedes Mal einen faden Beigeschmack, einen von drei Hunden allein Zuhause zu lassen, während der Rest des Rudels sich draußen vergnügt.
Schließlich erhöhte ich die Anzahl der Tage in regelmäßigen Abschnitten und ganz nach Gefühl – ich denke, an diesem Punkt muss das jeder für sich selbst entscheiden, in welchem Abstand und wann und wie lange die täglichen Spaziergänge ausgeweitet werden. Du kennst Deinen Hund am besten. Wichtig ist, Deinen Hund nie zu überfordern und im Training lieber einen Schritt zurück zu machen, als es zu schnell anzugehen.
Stand heute, November 2020, nach fast 2 Jahren Training: Mateo kann jeden Tag uneingeschränkt mit der ganzen Familie Spazieren und Wandern gehen. Das Training hat sich ausgezahlt und wir könnten alle nicht glücklicher sein.

Ziel erreicht?
Man könnte jetzt meinen: Super, das Training ist fertig. Frauchen und Hund wunschlos glücklich. Aber! Was ich damals sehr schnell festgestellt habe: Mateo liebt Bälle und das Apportieren. Seine Augen fangen an zu strahlen, wenn er einen Ball sieht. Ich habe Mateo nie das Apportieren beibringen müssen – er konnte es gleich auf Anhieb. Angeborenes Talent, könnte man fast sagen. J Trotz seiner großen Ballliebe war das klassische Ballspielen Hol & Bring in der Vergangenheit nahezu ein Tabuthema. Eine so extrem körperliche Auslastung wollte ich Mateo lange nicht zumuten. Doch jetzt, wo alles so gut funktioniert, ist das unser nächstes Trainingsziel: Mateo zu ermöglichen, regelmäßig (einmal wöchentlich oder im zwei Wochen Takt) Bälle zu apportieren, sprich Sport zu treiben. Als mein ganz persönliches Ziel habe ich mir gesetzt: Mateo alles im Rahmen des Möglichen zu ermöglichen. Er ist ein lebensfroher Hund und das soll er in vollen Zügen ausleben und einfach Hund sein dürfen.
Das richtige Maß finden
Wie viel ein Hund mit Prothese leisten kann und möchte, hängt ganz vom Wesen des Hundes ab. Mateo würde ich als eine Art Extremsportler bezeichnen: Wanderungen findet er interessant, aber sie müssten nicht unbedingt sein. Viel mehr liebt er das schnelle Laufen über Berge und Felder sowie das Raufen (und das bitte möglichst körperlich!) mit Hundekumpeln. Er würde eine Runde Ballspielen jederzeit einem Spaziergang vorziehen. An dieser Stelle muss ich als Hundehalter den goldenen Mittelweg finden: Mir ist es wichtig, Mateo einfach Hund sein zu lassen. Seine Behinderung soll nicht an erster Stelle stehen. Aber! Sie darf auch nicht außer Acht gelassen werden. Mateo ist ein Hund mit Behinderung und daher körperlich nicht mit einem gesunden Hund vergleichbar, auch wenn er das selbst ganz anders sieht. Die goldene Mitte finden ist die Königsdisziplin für uns Hundehalten mit behinderten Hund. Ich kann an dieser Stelle nur den Tipp geben: Das Herz und das Bauchgefühl wissen es oft besser als der Kopf. Der macht sich nämlich zu viele Gedanken! Mach, wie Du es für richtig hältst – So machst Du´s richtig.

Hallo,
mit großem Interesse habe ich Ihre liebvollen Artikel gelesen. Am 23.12.2020 müsste unserer Hündin leider die linke vordere Pfote bzw in etwa das halbe Bein (etwas oberhalb des Karpalgelenks) abgenommen werden…
Da unsere Hündin lange Spaziergänge liebt, möchten wir ihr auch eine Prothese anfertigen lassen. Dürfen wir fragen, wo Sie die Prothese für Ihren Liebling haben anfertigen lassen? Wir selber wohnen in Bayern und haben bisher als Empfehlung einen Orthopäden in der Nähe von Fürstenfeldbruck erhalten.
Ihnen und Ihren Liebsten ein Frohes Neues Jahr und viel Gesundheit.
Viele Grüße
Hallo Martina,
lieben Dank für deine Nachricht!
Es tut mir Leid zu hören, dass deiner Hündin das halbe Bein abgenommen wurde.
Ich wünsche dir und deiner Hündin viel Kraft für die Zukunft!
Mit einer passenden Prothese sollte deine Hündin hoffentlich kaum eine Einschränkung haben und auch die langen Spaziergänge durchhalten.
Es ist super, dass du ihr eine Prothese ermöglichen möchtest und natürlich kannst du uns zur Prothese alles fragen, auch wo wir diese angefertigt haben.
Schreib uns doch einfach eine Mail an hello@verpinscht.de
Grüße
Vanessa und das verpinscht Rudel
Hallo ich habe da mal eine Frage. Ich habe ein Appenzeller der mit einer Missbildung am vorder pfote geboren wurde. Das habe ich jetzt per op richten lassen. Da er jetzt aber schon 1 1/2 jahre auf drei beine gelaufen ist, kennt er es jetzt nur so. Wie bringe ich ihn jetzt bei das neue bein zu benutzen ?bzw dem Gehirn .würde mich sehr auf eine antwort freuen.
LG
Veronika
Ich bin sehr beeindruckt von den ausführlichen und sehr interessanten Artikel.
Deine Liebe und Ausdauer hat sich bezahlt und aus Mateo einen glücklichen Hund gemacht 🤗